
Swetlana Tichanowskaja bezeichnet sich selbst als «zufällige Politikerin». Davor sei sie Hausfrau und Mutter von zwei Kindern gewesen. Sie habe keine Ausbildung in diesem Bereich – aber «Präsidenten und Premierminister» seien ihre Lehrer gewesen in den vergangenen fünf Jahren.
Tichanowskajas Karriere als Politikerin begann, als ihr Mann, der Video-Blogger Sergei Tichanowski, verhaftet wurde. Der Grund: Er hatte öffentlich verkündet, bei der Präsidentschaftswahl 2020 im autoritär regierten Belarus kandidieren zu wollen. Tichanowskaja trat an seine Stelle – und wurde als Präsidentschaftskandidatin zugelassen. Wohl auch, weil Präsident Alexander Lukaschenko einer Frau keine ernstzunehmenden Chancen einräumte.
Doch die Opposition um Swetlana Tichanowskaja bekam in Belarus breite Unterstützung in der Bevölkerung. Zehntausende protestierten gegen Lukaschenko, der seit mittlerweile mehr als 30 Jahren Belarus regiert. Unabhängige Beobachter gehen heute davon aus, dass Tichanowskaja die Wahl eigentlich gewonnen hatte.
Doch ihr Erfolg blieb nicht ohne persönliche Konsequenzen: «Ich hatte die Wahl: Entweder bleibe ich und lande wie mein Mann im Gefängnis oder ich fliehe», sagt Tichanowskaja. Sie entschied sich für Zweiteres. Heute lebt sie in der litauischen Hauptstadt Vilnius und ist eine symbolträchtige Figur im friedlichen Kampf für ein demokratisches Belarus.
«Wenn man nach Belarus kommt, würde man niemals vermuten, dass in diesem Land etwas nicht stimmt. Es gibt saubere Straßen, schöne Gebäude» sagt Tichanowskaja im Gespräch mit der Medienakademie. Erst wer mit den Leute spreche, merke, wie verängstigt die Menschen seien.
Tichanwoskaja wurde in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt, ihr Mann sogar zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach fünf Jahren wurde er schließlich heuer im Juni freigelassen. Die letzten zweieinhalb Jahre in Haft habe er in vollkommener Isolation verbracht, sagt sie. «Keine Besuche von Anwälten, keine Briefe, nichts.» In dieser Zeit habe sie nicht gewusst, ob ihr Mann noch am Leben sei. «Als der russische Regimekritiker Alexei Nawalny getötet wurde, dachte ich, dass das gleiche Schicksal vielleicht auch meinem Mann widerfahren könnte.»
Redaktion: Text: Lucia Grassi, Bild (c) Medienakademie/Müllner
Kategorie: Artikel
Datum: 06.12.2025
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